Nordsee: Schauer und Gewitter
Nicht nur im Kalender hat der Herbst längst Einzug gehalten, auch die derzeitige Wetterlage mutet sehr herbstlich an. Ein Tiefdruckgebiet hat sich über der Nordsee festgesetzt und lenkt hoch reichende Kaltluft nach Deutschland. Über dem noch recht warmen Wasser der Nordsee entstehen dabei Schauer und Gewitter, die lokal kräftig sein können und vereinzelt können hier sogar Tornados nicht ausgeschlossen werden.
Am Rande des Tiefs mit Zentrum nahe der südnorwegischen Küste strömt polare Kaltluft in Richtung Norddeutschland mit Temperaturen unter -30 Grad in rund 5,5 Kilometer Höhe. Da die Wassertemperaturen der Nordsee noch deutlich über 10 Grad liegen, ergibt sich ein Temperaturunterschied von mehr als 40 Grad.
Damit bilden sich verbreitet teils kräftige Schauer und einzelne Gewitter, die von der Nordsee bis in das nord- und nordwestdeutsche Binnenland ziehen können. Bei höhenwindschwachen Schauerlagen entstehen auch immer wieder Tornados, allerdings ist heute noch ein wenig Wind vorhanden, sodass die Tornadogefahr auf der Nordsee nicht allzu hoch, aber dennoch leicht erhöht ist.
Experimentell wird derzeit das Potenzial für die Entstehung von so genannten Typ-II-Tornados berechnet. Beim Wert 0 besteht fast kein Potential für die Bildung, bei 10 besteht sehr hohes Potential für die Bildung, sollte es zu entsprechenden konvektiven Ereignissen am Vorhersageort kommen. Für Insider ist es zusammengefasst eine Weiterentwicklung des SWI (Szilagyi Waterspout Index), angepasst auf die höhere Auflösung des ICON im Vergleich zum globalen US-Modell. Allerdings bezieht sich der neue Index nicht nur auf Wasseroberflächentemperaturen, sondern auch auf bodennahe Temperaturen und ist damit auf Landflächen übertragbar. Zusätzlich, wegen der höheren Modellauflösung, werden Bodenkonvergenz und Vorticity sowie konvektive Parameter wie der Temperaturgradient 850-700 hPa berücksichtigt.
Zum Hintergrund und zur Unterscheidung zwischen Typ-I-Tornados und Typ-II-Tornados: Die Zutaten für die Entstehung von Tornados sind weitgehend bekannt. Dazu gehören große Labilität mit ausreichenden Temperaturunterschieden zwischen unten und oben sowie feuchte Luft und bei Tornados, die sich im Bereich von so genannten Mesozyklonen (starke Gewitter mit rotierendem Aufwindbereich) starke Windscherung. Nimmt der Wind mit der Höhe deutlich zu und ändert dabei auch noch seine Richtung, spricht man von starker (vertikaler) Windscherung. Passt alles zusammen, können sich Typ-I-Tornados bilden. Die meisten starken Tornado entstehen im Bereich von Mesozyklonen. Die Gewitterzellen lassen sich mit den Radarbildern verfolgen und auch die Rotation ist dort zu erkennen. Kurzfristig sind sogar Tornadowarnungen durchaus möglich. Die Tornadoforschung hat im Bereich der Typ-I-Tornados in den vergangenen Jahrzehnten große Fortschritte gemacht.
Es gibt aber auch noch die Möglichkeit der Tornadoentstehung, wenn Labilität und Feuchtigkeit vorhanden sind, aber (nahezu) kein Höhenwind. Bei solchen Wetterlagen ohne Höhenwind bewegen sich die entstehenden Schauer und Gewitter kaum bis gar nicht und die Überflutungsgefahr durch lokale Sturzfluten ist enorm groß. So thermisch ausgelöst können sich auch Tornados bilden, man spricht von Typ-II-Tornados, die bisher kaum vorhergesagt werden konnten.
Die obige Karte zeigt also ein leicht erhöhtes Potenzial für Typ-II-Tornados auf der Nordsee. Im Laufe des Sonntags beruhigt sich das Wetter im Bereich der Nordsee wieder, die Schauer- und Gewittergefahr nimmt rasch ab.
Titelfoto: Achim Otto
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